Über Psychotherapie
1. Wer kommt in die Psychotherapie?
Wer eine Psychotherapie sucht, hat ein Leiden. Genauer gesagt, jemand ist in der Lage zu leiden und weiß davon. Es gibt etwas, das sie oder er hat und nicht mehr möchte und etwas, das er oder sie möchte und nicht hat. Möglicherweise ist das was fehlt, nicht so klar.
Im Begriff des Leidens ist das Erleben, das Emotionale enthalten. Das „Symptom“ ist eher der Begriff einer außenstehenden Person, etwa der Ärztin oder des Arztes und weist zudem auf ein mental verstandenes komplexes Geschehen hin. Natürlich kann eine betroffene Person etwas Abstand zu sich herstellen und von den eigenen Symptomen sprechen.
Da eine Psychotherapie in Deutschland von den Krankenkassen bezahlt werden kann, gibt es Kriterien für die Bedingungen der Kostenübernahme. Ein wichtiges Kriterium wird mit dem Begriff der krankheitswertigen Störung ausgedrückt. Was das bedeutet, ist so genau als möglich in den Richtlinien für die Psychotherapie festgeschrieben. Das ist ein wichtiges Thema – etwa ein Viertel der Erwachsenen in Deutschland erfüllen die Kriterien einer krankheitswertigen Störung – und wert für eine genauere Betrachtung – an anderer Stelle.
Das Leiden eines an Psychotherapie interessierten Menschen ist meist stärker psychisch oder emotional als körperlich, wobei ein rein psychisches Leiden ohne körperliche Beschwerden sehr selten ist.
Die Feststellung eines körperlichen Leidens, verbunden mit Schmerzen und Beeinträchtigungen körperlicher Funktionen ist für die meisten Menschen leichter als die Realisierung eines psychischen Leidens. Denn beim körperlichen Leiden bleibt man unschuldig – so ein noch immer wirksamer Kontext – man kann nichts dafür. Das ist bei dem psychischen Leiden nicht so sicher, man kommt in bedrohliche Nähe zu Versagen oder etwas nicht geschafft zu haben, kurzum in kränkender Weise nicht in Ordnung zu sein.
Das damit im Zusammenhang stehende kollektive Bild der Psychotherapie hat sich in den letzten Jahrzehnten erfreulich gewandelt. Dieser Prozess führt über viele Klippen von mehr oder weniger unbewusstem Ungenügen zur Zunahme von Selbstverantwortung.
Ich gehe davon aus, dass es eine wirkliche Zunahme der psychischen Leiden in der Bevölkerung gibt und die größere Zahl psychotherapeutischer Behandlungen gegenüber den 60iger bis 80iger Jahren nicht wesentlich der Effekt differenzierter Diagnostik und einer größeren Zahl von Therapeuten ist.
Bevor sich ein Mensch auf die Suche nach einer Psychotherapie macht, ist er im Inneren mehrere Schritte gegangen:
Sie oder er muss ein Leiden in sich erkannt haben: Das klingt einfacher als es oft ist. Der große Schritt besteht in der Erkenntnis, dass nicht die anderen Menschen oder die Lebensumstände ursächlich verantwortlich für das Leiden sind, sondern es in ihm oder ihr selber liegt.
Zweitens muss erkannt sein, dass das Leiden nicht befriedigend über den Willen, Verstand oder Absicht zu lösen ist. Das bedeutet ein Erkennen und ein gewisses Aushalten-Können von Ohnmacht. Das gehört zu den größten Herausforderungen für Menschen.
Der nächste Schritt ist die Erkenntnis, Hilfe zu benötigen. Das Grössenselbst wird mit Demut konfrontiert.
Und dann braucht es noch die Hoffnung, dass es Hilfe gibt und Besserung möglich ist.
All das muss nicht komplett klar und bewusst sein, doch von allen diesen Punkten
braucht es etwas.
Nach dieser inneren Arbeit ist es nun noch notwendig, sich mit den konkreten Themen einer unbekannten Person zu offenbaren. Dazu gehört nun auch noch Mut und – mindestens etwas an Fähigkeit zu vertrauen.
Das alles sind wirklich große Leistungen, die vollbracht werden müssen bis zu einer
Begegnung mit einer Psychotherapeutin oder -therapeuten in einem Erstgespräch.
Hinzu kommen Recherchen und Wartezeiten auf ein Erstgespräch und einen Therapieplatz.
Es gibt immer Überlagerungen von Eigenheiten der PatientInnen, doch die vier
beschriebenen Punkte bleiben gültig und müssen in einem gewissen Masse erfüllt
sein als Voraussetzungen für eine Psychotherapie, die Chancen auf Erfolg haben
soll.
Das alles sind wirklich große Leistungen, die vollbracht werden müssen bis zu einer Begegnung mit einer Psychotherapeutin oder -therapeuten in einem Erstgespräch.
Es gibt immer Überlagerungen von Eigenheiten der PatientInnen, doch die vier beschriebenen Punkte bleiben gültig und müssen in einem gewissen Maße erfüllt sein als Voraussetzungen für eine Psychotherapie, die Chancen auf Erfolg haben soll.
Es gibt natürlich auch den Fall, dass es einfach nicht miteinander passt. Das spüren meist TherapeutIn und KlientIn gleichzeitig und man trennt sich mit etwas Enttäuschung und im Wissen, dass die Trennung die bessere Lösung. Der Weg für die KlientIn geht weiter.
In der Regel habe ich vor den Menschen, die zu einem Erstgespräch zu mir kamen, großen Respekt empfunden und spürte, welchen Weg sie bereits gegangen waren.
Bremen, 01. März 2025